Nicht alle profitieren vom Job-Boom

Holsteinischer Courier, 02. Dezember 2017, Rolf Ziehm

Ausgabejahr 2017
Datum 02.12.2017

CDU-Wirtschaftsrat diskutierte Wege aus der Langzeitarbeitslosigkeit

Neumünster Deutschland glänzt mit Rekordbeschäftigung. Auch in Neumünster ist die Arbeitslosenzahl auf den niedrigsten Stand seit mehr als 20 Jahren zurückgegangen. Gleichzeitig steuert die Wirtschaft auf einen Fachkräftemangel zu. Dennoch gibt, es einen harten Kern von Langzeitarbeitslose, die vom Boom auf dem Arbeitsmarkt nicht profitieren können.

Der Wirtschaftsrat der CDU diskutierte in der Elly-Heuss-Knapp-Schule „Ansätze zur Beseitigung der Langarbeitslosigkeit“. Auf dem Podium: Jobcenter-Chef Thorsten Hippe und Marc Fellgiebel, der Leiter Dekra-Akademie Schleswig-Holstein. Moderiert wurde die Runde von Holger Bajorat, dem Sprecher der Sektion Neumünster im Wirtschaftsrat.

Die Zahlen die Hippe nannte, sind alarmierend. 10722 Neumünster leben zurzeit von Hartz IV. Von den fast 7000 erwerbsfähigen Hartz-Empfängern sind gut zwei Drittel im Langzeitleistungsbezug von mehr als 21 Monaten. Von den 2720 arbeitslosen Hartz-IV-Empfängern, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, sind 1360 und damit rund die Hälfte schon länger als ein Jahr arbeitslos. Sie gelten damit als Langzeitarbeitslose. Und noch eine Zahl, die die verfestigte Situation deutlich macht: Von den knapp 7000 erwerbsfähige Hartz-IV-Beziehern haben 69 Prozent keinen oder keinen verwertbaren Berufsabschluss.

Hier setze das Jobcenter mit dem Anfang 2016 geschaffenen Aktivzentrum an, sagte Hippe und stellte drei Projekte vor. Mit der „Beschäftigungsoffensive“ bietet das Jobcenter Arbeitgebern Vor-Ort-Beratung, die passgenaue Auswahl und Qualifizierung von Bewerbern sowie deren Betreuung auch nach der Einstellung an. Die Rückfallquote in die Arbeitslosigkeit ist mit mehr als 50 Prozent aber hoch, erfuhr Bajorat und Nachfrage.

Idee des 2015 gestarteten Projekts „Kurswechsel“ ist es, präventiv schon vor dem Langzeitbezug von Hartz IV mit einer intensiven ganzheitlichen Beratung anzusetzen. Dabei nutzt das Jobcenter Netzwerke, etwa bei der Kinderbetreuung, und kann auf 200 Integrationen pro Jahr verweisen. Hippe: „Die Langzeitbezüge geben seitdem stetig zurück. Wir haben da den richtigen Ansatz gefunden und eine Trendwende erreicht.“ Einig waren sich Hippe und Fellgiebel, dass die Zahl derjenigen, die sich komplett mit einer „Null-Bock-Haltung“ verweigern sehr gering ist. Als drittes Projekt nannte Hippe das aus dem Europäischen Sozialfonds und vom Bund geförderte Programm „Arbeiten und leben in Neumünster“. Die Voraussetzungen sind deutlich strenger, die Förderquoten hoch, Teilnehmer müssen mindestens zwei Jahre arbeitslos sein und Vermittlungshemmnisse aufweisen. Hippe: „Die Erfahrungen machen Mut.“ Die 40 Plätze sind alle besetzt, die Abbrecherquote war niedrig, und die Betriebe haben 21 Teilnehmer auch ohne weitere Förderung freiwillig und unbefristet weiterbeschäftigt.

„ Es wird im Zuge der Digitalisierung immer schwerer, Helfer unterzubringen“, sagte Jörg Hiller (Hiller Feinwerktechnik). Die fehlende Qualifikation ist ein Problem, das neben mangelnden Sprachkenntnissen, komplizierten Leistungsansprüchen und schwierigen Wohnverhältnissen auch Zuwanderer aus den EU-Ländern Bulgarien und Rumänien zu einer komplizierten Klientel des Jobcenters macht.

Steinig werde der Weg auch für Flüchtlinge. Der Spracherwerb habe dabei Priorität. Dass viele Flüchtlinge hochmotiviert seien, habe eine Infoveranstaltung im Log-In gezeigt. Hippe: „Wir haben 2017 von 380 Bewerbern schon 51 vermittelt.“ Große Bedeutung maß Hippe der Jugendberufsagentur zu. „Eine Schlüsselaufgabe bei der Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit ist der geglückte Übergang von der Schule in den Beruf.“

Das Fazit der Experten: Der hohe Sockel der Langzeitarbeitslosigkeit kann schmelzen, aber dazu müsse man Geld für die Qualifizierung in die Hand nehmen. Und viele blieben auch dann auf geförderte Arbeitsplätze angewiesen.