Vom Zimmerer zum Reisebusfahrer (Lesezeit ca. 4:00 Min.)



Ausgabejahr 2019
Datum 27.08.2019

Henryk Gley ist 51 Jahre alt und lebt in Neubrandenburg. Seinen Schul- und auch Berufsabschluss erwarb er noch in der ehemaligen DDR.

Direkt nach dem Abschluss der Schule mit der mittleren Reife erlernte er den Beruf des Zimmerers im Reifenwerk Neubrandenburg. Dort arbeitete er in diesem Beruf anschließend bis zur Wende. Mit der Schließung des Reifenwerks erging es ihm wie vielen Neubrandenburgern und er musste sich nach neuen beruflichen Perspektiven umsehen.

Herr Gley war damals 21 Jahre alt und hatte für sich erkannt, dass er gern eigenverantwortlich tätig ist. So nahm er seinen Mut und jugendlichen Elan zusammen und wagte den Schritt in die Selbständigkeit als Gastronom. Bis ins Jahr 2015 betrieb er das Catering im Latücht in Neubrandenburg.

Zum Ende der 2000er lief sein Betrieb jedoch zunehmend schlechter. In den Jahren 2011 und 2013 musste er schließlich die Hilfe des Jobcenters in Anspruch nehmen, um seine Lebenshaltungskosten decken zu können. Mit der Bewilligung von Arbeitslosengeld II wurde er im Jobcenter Mecklenburgische Seenplatte-Süd von den Ansprechpartnern für die Selbständigen betreut, mit deren Hilfe dann gemeinsam auch immer wieder ein Weg aus der Hilfebedürftigkeit gefunden werden konnte.

Zu Beginn des Jahres 2015 stand das Unternehmen allerdings vor dem endgültigen wirtschaftlichen Aus und mit Herr Gley wurden Wege aus der Selbständigkeit besprochen. Mit 47 Jahren musste er nun erneut nach neuen beruflichen Wegen suchen.

Dass es jetzt eine abhängige Beschäftigung werden sollte, war schnell klar. Allzu gut kannte Herr Gley die Risiken einer Selbständigkeit. Eine Tätigkeit als Zimmerer war nicht mehr möglich - viel zu lange lagen Lehre und Tätigkeit im Reifenwerk zurück, als dass noch verwertbare Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwarten gewesen wären. Er selbst konnte sich eine solche Tätigkeit auch nicht mehr vorstellen. Eine Anstellung im gastronomischen Bereich kam nach der Aufgabe der Selbständigkeit ebenfalls nicht in Frage.

Plan A war eine Beschäftigung im Bereich Handel. Herr Gley musste hier als ungelernte Kraft neu durchstarten, war sich dafür jedoch nicht zu fein. Er hatte den Willen seine Situation zu einem Besseren zu wenden.

Im Sommer 2015 konnte er eine Beschäftigung als Helfer im Verkauf aufnehmen. Er fand seinen Einsatz in der Obst- und Gemüseabteilung einer Filiale eines großen Einzelhandelsunternehmens. Die Tätigkeit forderte ihn jedoch nicht wirklich. Er merkte auch schnell, dass er durch seine Selbständigkeit stark geprägt war und einen eigenen Verantwortungsbereich brauchte, in dem er eigenständig agieren kann. Mit dem aktuellen Verdienst war es ihm zudem nicht möglich, sich aus der Abhängigkeit von Sozialleistungen und Jobcenter auf lange Sicht zu lösen.

Das Beschäftigungsverhältnis endete nach etwas mehr als einem Jahr wieder und Herr Gley wurde erneut arbeitslos. Dieses Mal meldete er sich bei der Agentur für Arbeit, denn er war zwischenzeitlich ja sozialversicherungspflichtig beschäftigt und beantragte dort die Versicherungsleistung – das Arbeitslosengeld.

Zunächst liefen hier Versuche wieder im Handel einzusteigen, scheiterten jedoch leider, da trotz der erworbenen Berufspraxis kein passender Berufsabschluss vorhanden war. Mit Herrn Gley wurde nun erstmalig über die Möglichkeiten einer beruflichen Neuorientierung im Rahmen einer geförderten Bildungsmaßnahme gesprochen.

Hier lag der soziale Bereich im Fokus, da Herr Gley sich eine Tätigkeit mit sozialen Kontakten vorstellen konnte. Das kannte er aus der Selbstständigkeit bereits und es hat ihm immer Spaß bereitet. Zu dieser Zeit bestanden personelle Bedarfe im Pflegebereich und so wurde zunächst eine Umschulung zum Altenpfleger angedacht.

Nachdem sich Herr Gley einen Überblick über den Tätigkeitsbereich gemacht hatte, wurde dieser Zielberuf jedoch wieder verworfen. Er wollte lieber die Zielrichtung Erzieher angehen, am liebsten in der Arbeit mit schwer erziehbaren Kindern.

Von seinem Vermittler wurde der Arbeitgeberservice eingeschaltet, der ihm ein betriebliches Praktikum zur Erprobung vermittelte.

Während dieses Praktikums festigte sich der Wunsch Erzieher zu werden und so wurde nach Angeboten regionaler Bildungsträger gesucht, um Herrn Gley in diesen Bereich umzuschulen. Nachdem ein Bildungsträger gefunden war, war die Hoffnung groß, dass nun endlich ein konkreter Weg in eine berufliche Zukunft eingeschlagen werden kann.

Ein Vortest beim Bildungsträger brachte jedoch die Ernüchterung.

Die Anforderungen waren hoch, Herr Gley scheiterte daran, es war nicht mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen, dass er die Umschulung zum Erzieher mit Erfolg abschließen würde. Damit war für ihn das Thema berufliche Bildung vorerst vom Tisch, er hatte sich auf den Erzieher festgelegt und war nun entsprechend enttäuscht, dass sein Wunsch sich nicht erfüllte.

Spätestens mit dem erneuten Wechsel in die Betreuung durch das Jobcenter zum Ende 2017 wurde ihm klar, dass es notwendig würde, auch berufliche Alternativen in den Bewerbungsbemühungen zu berücksichtigen. Er bewarb sich in der Folge als Kraftfahrer und unter anderem auch als Reiseleiter.

Der Wunsch eher in einer Position arbeiten zu wollen, in der er eigenverantwortlich bestimmen kann, war bei ihm weiter vorhanden. Im Rahmen seiner Bewerbungsbemühungen bewarb er sich nun aber auch zunehmend auf Stellenangebote, die es notwendig machten, beruflich unterwegs zu sein – als Reiseleiter beispielsweise sogar über längere Zeiträume.

Zusammen mit dem Wunsch, nicht weiter vom Jobcenter abhängig sein zu wollen, entwickelte er die berufliche Perspektive eines Busfahrers in einem Reiseunternehmen. Es wurden Kontakte zu Arbeitgebern aufgenommen, die für eine entsprechende Tätigkeit in Frage kommen würden und die Möglichkeiten einer Einstellung wurden besprochen.

Schnell fand sich ein regionaler Arbeitgeber, der ihn einstellen wollte, sofern er die Voraussetzungen für die Tätigkeit erfüllt. Unter dieser Bedingung erhielt er eine Einstellungszusage von diesem Arbeitgeber.

Herr Gley wurde daraufhin vom Jobcenter Mecklenburgische Seenplatte-Süd auf dem Weg zum Führerschein intensiv begleitet. Zunächst musste die gesundheitliche Eignung abgeklärt werden, dazu wurden Termine zur ärztlichen Untersuchung vermittelt. Als klar war, dass er die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Beruf des Busfahrers mitbrachte, wurde gemeinsam ein geeigneter Bildungsträger gesucht und gefunden.

Im Zeitraum vom 06.08.2018 - 06.11.2018 absolvierte Herr Gley seine Qualifizierung zum Busfahrer bei Wolfgang Brandt im Verkehrsausbildungszentrum und hielt noch im November 2018 den Führerschein Klasse DE in Händen.

Der Arbeitgeber mit den Einstellungsabsichten war allerdings zu diesem Zeitpunkt weder für Herrn Gley noch für das Jobcenter zu erreichen und die Einstellungszusage wurde leider nicht gehalten.

Ein neuerlicher Rückschlag, der jedoch die Motivation von Herrn Gley nicht bremsen konnte. Er suchte weiter und bewarb sich umfangreich bei allen potentiellen Arbeitgebern der Region.

Sein Engagement wurde belohnt.

Henryk Gley Foto: Schumachers Reisedienst

Zum 01.03.19 konnte Henryk Gley nach vielen Mühen eine unbefristete Vollzeitstelle als Busfahrer beim Arbeitgeber Schumachers Reisedienst antreten. Dort fährt er inzwischen seinen Reisebus und hat bei dieser Arbeit auch intensiven Kontakt mit vielen Menschen, die er zu ihren Ausflugs- und Urlaubszielen fährt.